Du nimmst Dein Handy in die Hand und öffnest Facebook, X oder Instagram. Dir fliegen sofort zahllose Bilder und Texte um die Ohren. Geteilte Zeitungsartikel buhlen um Deine Aufmerksamkeit und hier und da grinst Dich ein bekannter Politiker an. Dann liest Du vielleicht noch die Überschrift oder den Untertext zum Bild.
Aber wann hast Du Dich das letzte Mal gefragt, ob das eben Gelesene auch tatsächlich richtig ist? Wann hast Du das letzte Mal gedacht: „Hä?! Das kann doch niemals echt sein!“? Wenn Du diese Frage mit „weiß nicht mehr“ beantwortest, gehörst Du vermutlich zum Mainstream. Denn wir haben verlernt, Dinge zu hinterfragen und faktenbasierte Entscheidungen zu treffen.
Beispiel 1: Pilot klagt gegen Einsatz von Chemtrails
Am 30.09.2024 erschien unter anderem auf diversen Social-Media-Plattformen eine Meldung, die wie eine Bombe einschlug. Ein Pilot klagte vor dem Amtsgericht Nürnberg gegen seine Kündigung durch eine große deutsche Fluggesellschaft. Diese hatte ihn entlassen, weil er sich weigerte, Chemtrails zu versprühen.
Falls Du nicht weißt, was Chemtrails sind: Dabei handelt es sich um eine Verschwörungserzählung. Diese besagt, dass das, was wir als Kondensstreifen am Himmel sehen, in Wirklichkeit Chemikalien sind. Die werden von Flugzeugen versprüht, um uns zu beeinflussen. Sie sollen uns – je nach Ausprägung der Nonsens-Geschichte – unfruchtbar oder fruchtbarer machen, psychisch beeinflussen oder anderweitig chemisch manipulieren.
Selbstverständlich ist diese Geschichte absoluter Blödsinn. Das passende Video stammt vom Satiremagazin „Postillion“. Und man muss auch kein Geistesakrobat sein, um zu erkennen, dass es sich hier ganz offensichtlich um Satire handelt. Viel erschreckender ist jedoch, wie viele Menschen diese Meldung für bare Münze genommen haben.
Zugegeben, diese Geschichte ist eher amüsant. Es kann jedoch auch um knallharte Zukunftsfragen gehen.
Beispiel 2: Weidel will Windkraftanlagen abreißen und Merz Gaskraftwerke bauen
Mittlerweile beträgt der Anteil der erneuerbaren Energien am Strommix über 50%. Allein rund ein Drittel des Stroms stammt aus Windkraftanlagen. Und kaum ist Wahlkampf, faucht eine blindwütige Frau Weidel ihren Schäfchen zu, dass sie alle Windkraftanlagen abreißen lassen will. Herr Merz schießt in eine ähnliche Richtung, indem er ankündigt, dass er 50 neue Gaskraftwerke bauen will. Und kaum ein Mensch stellt die passenden Fragen:
1. Was passiert mit dem Strompreis?
2. Wodurch wird der fehlende Strom ersetzt?
3. Was würde uns ein solches Szenario kosten?
Fangen wir bei Herrn Merz an.
Sprechen wir von „ordentlichen“ Gaskraftwerken mit einer Leistung von 500 Megawatt. Dann stellt sich zunächst die Frage nach der Bauzeit. Diese würde nach einer Schätzung von RWE 5 bis 6 Jahre dauern. Einschließlich Genehmigungsverfahren.
Die Baukosten betragen pro Kraftwerk laut dem „Forum ökologisch-soziale Marktwirtschaft“ zwischen 470.000 – 1.152.000 EUR pro Megawatt. Bei einem 500MW-Gaskraftwerk liegen wir also zwischen 235 Mio EUR und 576 Mio EUR. Bei 50 dieser Kraftwerke bewegen wir uns also zwischen 11,75 Mrd. EUR und 28,8 Mrd. EUR. Das will finanziert werden.
Eine weitere wichtige Frage: Wieviel Gas brauchen wir eigentlich dafür?
Setzen wir für unser Gaskraftwerk einen Wirkungsgrad von rund 50% an. Das bedeutet, dass etwa die Hälfte des eingesetzten Brennstoffes letztlich in elektrische Energie umgewandelt werden. Der Rest ist zum größten Teil Abwärme. Erdgas in entsprechender Qualität hat einen Heizwert von 11,4 Kilowattstunden pro Kubikmeter. Da wir das Doppelte berechnen müssen (-> 50% Wirkungsgrad), landen wir bei etwa 88.000 m³.
Der Gaspreis liegt derzeit (Stand Januar 2025) bei ca. 4 US-Dollar für 26,4 m³. Damit ist er übrigens recht niedrig.
Daraus ergeben sich zwei Dinge:
1. Der Preis, der an der Börse für die 50 Kraftwerke fällig wird.
2. Die Differenz zu dem, was DU für das Erdgas zahlst (als kleiner Exkurs).
1. Die Rechnung ist einfach.
50 x 88.000 m³ = 4,4 Mio. m³
4,4 Mio / 26,4 = 166.666,66
166.666,66 x 4 = 666.666 EUR
Alle Kraftwerke zusammen benötigen also rund 670.000 EUR, um ihre Leistung zu erbringen. Fortlaufend. Also quasi ein Schnäppchen.
2. Jetzt wird es traurig.
Du bezahlst Dein Erdgas nicht nach Kubikmetern, sondern nach dem Heizwert „Kilowattstunde“.
Die 26,4 m³ an der Börse erbringen etwa 300 Kilowattstunden. Genauer sind es 293,297.
Neukunden zahlen derzeit rund 10 Cent für die Kilowattstunde.
Die 26,4 m³, für die an der Börse 3,85 EUR fällig werden, kosten also den Endkunden ziemlich genau 29,33 EUR.
Beeindruckend, oder?
Im Umkehrschluss heißt das aber auch, dass eine höhere Nachfrage an Erdgas auch zu einem höheren Preis führt. Was das für Deine Gasrechnung bedeutet, kannst Du Dir denken.
Zurück zu unseren Kraftwerken.
Falls es Dich noch interessiert: Das Erdgas muss irgendwo herkommen. Die Gasleitungen aus dem Osten sind dicht (was auch gut ist). Also bleiben in der Hauptsache Pipelines aus Skandinavien und LNG-Terminals, über die Flüssiggas nach Deutschland kommt. Und was glaubst DU, woher fast 80% dieses Gases stammen? Richtig! Aus den USA. Nach dem Wahlsieg Trumps sollte man also noch einmal überdenken, ob die Handelswege weiterhin stabil bleiben. Zudem kommt Flüssiggas mit Tankern über den Atlantik, die ihrerseits mit Schweröl betrieben werden. Du siehst: Die Entscheidung ist in mehrfacher Hinsicht noch einmal zu überdenken.
Aber warum will Merz das dann?
Die Antwort ist einfach: BlackRock ist an jedem großen Energieerzeuger in Deutschland beteiligt.
Und warum funktioniert Weidels Idee nicht?
Kernkraftwerke wieder hochfahren, die einmal abgeschaltet waren, ist technisch natürlich möglich. Aber es geht einfach nicht aus dem Stand. Das Hochfahren aus dem kalten Zustand dauert Tage. Viel wichtiger: es gibt keinen Brennstoff. Die Herstellung von Brennstäben dauert 12 bis 15 Monate.
Und die Betreiber haben sich darauf eingerichtet, dass die alten Meiler abgerissen werden. Das Innere der Reaktoren ist jedoch so stark verstrahlt, dass nicht einfach die Abrissbirne angesetzt werden kann. Also werden sie wortwörtlich chemisch gereinigt. Diese Chemikalien greifen jedoch die Innereien eines solchen Kraftwerks an. Es wäre ohne umfassende Sanierung nicht mehr sicher zu betreiben. Und was passiert, wenn ES passiert, können Dir die Menschen aus Tschernobyl erzählen.
Reißen wir also alle Windkraftanlage weg und bauen neue Kernkraftwerke.
Was kostet der Abriss? Alle Windkraftanlagen in Deutschland haben (Stand 1.1.2024) zusammen eine Nennleistung von 69.475 MW. Nimmt man die vom Bundesverband Windenergie angesetzten Kosten von 30.000 EUR/MW, kommt man recht schnell auf schneidige 2 Billionen EUR.
Weiß Frau Weidel das nicht, wenn sie so einen Satz von sich gibt?
Dann bauen wir jetzt mal die Kernkraftwerke, die diese Leistung ausgleichen. Damit wir einen Vergleich haben, nehmen wir Kraftwerke, die Tschechien bauen lassen will. Jedes dieser Kraftwerke hat eine Leistung von etwa 1.100 MW. Baukosten: 8 Milliarden EUR. Bauzeit: 6 Jahre. Taschenrechner raus und gerechnet: 63 Kernkraftwerke, 504 Mrd. EUR. Hoffentlich gibt’s Mengenrabatt.
Anderes Beispiel: Flamanville in Frankreich. Baukosten ca. 6 Mrd. € bei 1630 MW. Dann sprechen wir von 42 Kraftwerken und 250 Mrd. EUR Baukosten. Bauzeit ebenfalls mehrere Jahre.
Was noch hinzukommt:
Die Brennelemente in einem KKW müssen hergestellt werden. Ein Kilo Uran kostet an der Börse (Stand Januar 2025) rund 74 Dollar. Damit wir was zum Rechnen haben, nehmen wir das Kraftwerk Gösgen in der Schweiz. In diesem sind insgesamt 77 Tonnen (!) Uran enthalten. Der reine Materialwert beträgt also etwa 5,7 Mio. EUR. Dazu kommen weitere Metalle für die Brennstäbe, Herstellung, Transport etc etc.
Und nach rund 4 Jahren muss so ein Element ausgetauscht werden. Auch das macht man nicht einfach so. Denn das (eigentlich relativ wenig strahlende) Uran aus den Brennstäben ist seinen Spaltprodukten gewichen. Und die erzeugen eine recht intensive Strahlung. Die Energie, die beim Zerfall dieser Spaltprodukte entsteht, ist immens. Sie kann auch nach der Entnahme aus dem Reaktor zum Schmelzen der Brennstäbe führen. Darum müssen auch ausgebrannte Brennelemente während der Lagerung gekühlt werden.
Das waren jetzt jede Menge Zahlen
Kosten, Leistung, noch mehr Kosten, Heizwert … Zahlen ohne Ende. Und Du fragst Dich vielleicht jetzt: „Warum erzählt mir der Typ den ganzen Kram eigentlich?“
Alles, was ich hier geschrieben habe, kannst Du googeln. Jede einzelne Informationen kannst Du finden, wenn Du es willst. Und das ist der springende Punkt: WENN DU ES WILLST.
Ganz einfach. Du kannst eine Aussage einfach so hinnehmen und Dir denken: „Ja, coole Idee! Das machen wir!“. Dabei ignorierst Du jedoch alle weiteren Fakten, die eine Idee dann doch nicht mehr so cool erscheinen lassen. Du hinterfragst nicht, sondern akzeptierst. Diese Einstellung ist sehr bequem, weil sie (Deine) Energie spart. Aber sie ist auch gefährlich. Denn wenn es um ein paar Kubikmeter Erdgas geht, ist die Diskussion anstrengend.
Wenn es jedoch um Menschenleben geht, dann hört der Spaß eindeutig auf. Wenn es darum geht, wegen der (zugegebenermaßen schrecklichen) Straftaten einzelner ganze Gruppen von Menschen unter einen Generalverdacht zu stellen, reden wir von anderen Dimensionen. Die politische Diskussion beeinflusst die Wahrnehmung in der Gesellschaft. Wenn in der Öffentlichkeit stehende Menschen sämtliche Migranten zu potentiellen Terroristen und Messermördern erklären, beeinflussen sie damit die öffentliche Meinung. Dann wird der Hass und die Ausgrenzung irgendwann in Gewalt umschlagen. Und wenn selbst angebliche Politiker der „Mitte“ sich dem rechten Rand anbiedern, um ein paar Stimmen zu fangen, muß die Frage erlaubt sein, was diese Mitte ist.
Na, verstehst Du jetzt, warum man Dinge hinterfragen sollte? Nimm nicht einfach jede Aussage hin. Stelle die richtigen Fragen und recherchiere. Ja, das ist mühsam und es erfordert ein wenig Zeit. Aber meistens kannst Du dann eine Aussage viel besser einordnen.